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Mehr Inhalt – weniger Wodka

Dank für Gastfreundschaft und vorbildliche Betreuung in Slawno: Bürgermeister Thomas Priemer (von links) übergibt Geschenke an seinen Amtskollegen Dr. Krzysztof Frankenstein, Slawnos Stadtmanager Raal Szyszewski und Dolmetscherin Marta Konfederak. Foto: dil

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Städtepartnerschaft mit Slawno: Bürgermeister Priemer will „über den Vergnügungsmodus hinauskommen“ / Rinteln setzt zunehmend auf Musik, Kultur- und Erfahrungsaustausch

Rinteln/Slawno. Wo die Sprachprobleme trennen, helfen Singen, Tanzen und sich Zuprosten. Besucher der Rintelner Partnerstadt Slawno haben dies bisher immer unter Gastfreundschaft, Respekt vor dem Anderssein und natürlich auch ein bisschen unter Genuss mit mehr oder weniger Toleranz verbucht. Doch die Städtepartnerschaft kam dadurch für viele über eine gewisse Oberflächlichkeit kaum hinaus. Doch nun mehren sich Zeichen des Wandels. Nicht nur Rintelns Bürgermeister Thomas Priemer will versuchen, noch mehr „über den Vergnügungsmodus hinauszukommen“.

Überbordende Tafeln herzhafter Genüsse bei den gemeinsamen Essen mit den Freunden und Partnern aus Slawno, dazu regelmäßiges Auffüllen der Wodka-Gläser, fast schon ein Ritual der Gastfreundschaft in Slawno. Doch wenn kein Dolmetscher in der Nähe ist, stocken die Gespräche oft, Gestikulieren ermüdet bald. Das wissen die Slawnoer, prosten deshalb immer wieder „Nasdarowje“ und „Dodna“ (Ex und hopp). Unter Rintelnern kursieren schon seit Jahren Tipps, wie man dieser hohen Schlagzahl durch kleine Tricks entgeht, ohne anzuecken. Bier ist ohnehin tabu, denn es verträgt sich nicht mit Wodka. Stattdessen gilt: Immer mit Wasser oder Saft nachspülen, um den Geschmack aus dem Mund zu kriegen und die Wirkung zu dämpfen, damit man auf der Tanzfläche später noch eine gute Figur macht. Rinteln bringt aber auch auf Alternativen ins Spiel.

Musik: Rinteln setzte über Pfingsten gleich im Doppelpack Akzente. Die Countryband „Daisy Town“ spielte ein Stück bei der feierlichen Sondersitzung im Slawnoer Rathaussaal, Samstagnacht eine Stunde bei einem Volksfest im Rathaus der nahen Großstadt Slupsk (früher Stolp) und schließlich Sonntag eine Stunde vor anfangs 250 Leuten auf der modernisierten Freilichtbühne. Dass es wegen Programmverzögerungen dort erst um 21.30 Uhr losging, als es schon empfindlich kalt war und vor allem Familien und Musiker anderer Orchester bereits das Amphitheater verlassen hatten, tat der guten Stimmung wenig Abbruch. Am Ende wurde sogar vor der Bühne getanzt, riefen Slawnoer lauthals auf Deutsch: „Noch einen!“

Am Samstag hatten die früher über Gebühr zurückhaltenden Rintelner beim Festessen gesanglich überrascht. Unter Stimmführung des Hohenroders Heinrich Schulze scholl das „Weserlied“ durch den Saal. Wenig später wurde die „sensationelle Show“ der erst wenige Wochen alten Karaoke-Quartetts „Aloha Boys“ angekündigt. Ulrich Seidel, Ulrich Neuhaus, Steffen Laskowski und Dietrich Lange sowie Moderatorin Ina Oldak rissen das Publikum mit ihrem Hitparodien zu Beifallsstürmen hin, hatten bei der Zugabe die Tanzfläche brechend voll. Sogar auf Italienisch wurde gesungen, und bei einem Song durften Slawnos Bürgermeister Dr. Krzysztof Frankenstein und seine Frau Anna sogar mit nach Sansibar rudern, wobei den Umstehenden Blumenkränze mit der Begrüßung „Aloha“ umgehängt wurden. Ehepaar Frankenstein bekam fürs Mitmachen einen aufblasbaren Affen und eine Riesenbanane, beides beliebte Motive für Selfie-Fotos im späteren Verlauf des Abends.

„Da müssen wir uns aber anstrengen, das im nächsten Jahr zu toppen“, meinte Slawnos Stadtmanager Rafal Szyczewski anerkennend. „Das war super.“ Lob von allen Seiten, auch von der Delegation aus dem italienischen Cles, die 2017 noch mit „Azzurro“ und „Volare“ handyunterstützt zu später Stunde für Furore gesorgt hatte. Ein kleiner Show- und Gesangswettstreit scheint sich anzubahnen. Immerhin hat Slawnos Partnerstadt Ribnitz-Damgarten diesmal schon eine 15-köpfige Blaskapelle mitgebracht, Rinteln hat mit seinen Bandauftritten also kein Alleinstellungsmerkmal mehr unter denn Gästen in Slawno. Lange: „Und je mehr Beteiligung, desto mehr Spaß bei weniger Alkohol.“

Doch es ist noch mehr geplant, und bei dieser Reise wurden Fortschritte erzielt. Ursula Mücke, Berufsschullehrerin und Kassiererin im Rintelner Verein für Städtepartnerschaften, führte Gespräche mit Stadt, Handwerkskammer, Betrieben und Berufsschulen von Slawno und Slupsk. Ziel: Berufspraktika für angehende Kaufleute aus Rinteln in Slawno und umgekehrt. Bei Handwerkern dürfte die Sprachbarriere zu groß sein, wurde dagegen befürchtet. Da die englische Partnerstadt Kendal sich aus den Berufspraktika zurückzieht, ohnehin ja nie jemand nach Rinteln geschickt hatte, könnten die von der EU dafür bewilligten Zuschüsse nun schnell in Projekte mit Slawno fließen. „Wir müssen nun aber bei uns erst das Interesse der Schüler ermitteln, unser Schulleiter Herbert Habenicht ist jedenfalls schon mal dafür“, teilte Mücke nach der Rückkehr optimistisch mit. In Slawno hat die Stadt über Facebook ebenfalls eine positiven Trend hierzu vermeldet. Eine der Ansprechpartnerinnen dort ist übrigens Bürgermeistergattin Anna Frankenstein, ebenfalls Berufsschullehrerin und des Deutschen mächtig.

Dietrich Lange, Vorsitzender des Partnerschaftsvereins Rinteln, und Ulrich Seidel vom Rintelner Carnevals-Verein haben bei einer abendlichen Party mit Adrian Zielinski, Leiter von Schülertanzgruppen, deren Besuch zum Rintelner Altstadtfest 2019 diskutiert. Lange hat mit Maciech Poprawski, Dirigent der Feuerwehrkapelle Slawno, wurde über ein gemeinsames Konzert mit einem Rintelner Orchester im neu gestalteten Kulturhaussaal von Slawno im Mai, August oder September 2019 gesprochen, 2020 soll die Feuerwehrkapelle dann wieder nach Rinteln kommen. „Musik ist ein idealer Brückenbauer über Sprachgrenzen hinweg“, stellte Lange dazu fest. Sport ebenfalls: Für 2019 ist deshalb auch eine Radfahrreise nach Slawno im Gespräch. Ob Hochseeangeln dazu kommt? „Diesmal waren kaum Fische dabei, und ich habe noch den zweitgrößten gefangen“, berichtete Ehrenbürgermeister Karl-Heinz Buchholz nach einer exklusiven Angeltour für die Ehrendelegationen. Aber auch bei ihm waren nicht mehrere Kilo am Haken.

Bürgermeister Priemer gewann dem Zusammentreffen von Delegationen aus Polen, Italien, Tschechien und Deutschland noch eine besondere Note ab: „Vertreter verschiedener Kulturen Europas feiern und tanzen in Slawno zusammen. Mit Gesang und Musik, aber fast ohne Politik haben alle in ausgelassener Freude neue Leute kennengelernt. Das ist der europäische Gedanke, der hier weitergeführt wurde. Man sollte sich viel öfter treffen.“ Die charmante Bürgermeisterin der südpolnischen Partnerstadt Slawnos, die auch mit Uchte im Kreis Nienburg eine Partnerschaft unterhält, hat er zu einem Rinteln-Abstecher beim nächsten Uchte-Besuch eingeladen. Priemer: „Sie will gerne kommen.“ Mit den Italienern kam es auch zu neueren Kontakten, denn einige sprachen etwas Deutsch und Englisch. „Nur das Thema Fußball, Nationalmannschaft und verpasste Weltmeisterschaft durfte man nicht anschneiden“, bemerkte Lange. „Dabei hätte sie so gern wieder ein Jahrhundertmatch gegen Deutschland erlebt.“

Priemer hat Frankenstein auch über fachlichen Austausch unter den Verwaltungen zumindest von Slawno, Rinteln und Ribnitz-Damgarten gesprochen: „Wir sollten beim nächsten Besuch der Slawnoer Politiker in Rinteln eine Arbeitssitzung über kommunalpolitische Probleme abhalten. Schulschließungen und -veränderungen, neue Angebote der Kinderbetreuung und Schulung von Fachkräften dafür, Finanzierung von Straßenbau oder Bau einer großen Veranstaltungshalle, da gäbe es genug Themen.“ Ob es dazu noch in diesem Jahr kommt, ist offen. Einladungen zu mehreren Veranstaltungsterminen in Rinteln liegen den Offiziellen in Slawno jedenfalls vor.

Von diesen Gesprächen hat die 23-köpfige Rintelner Reisegruppe nur wenig mitbekommen. Neue Leute kennenlernen, feiern, Spaß haben, das 50.Blasorchesterfestival mit Wettbewerb und vielen Platzkonzerten erleben,mit Danzig eine nach Kriegszerstörung wieder prächtig aufgebaute ehemals deutsche Stadt erleben, das stand für die Gruppe im Mittelpunkt. „Alle waren begeistert, nicht nur wegen des ständig herrlichen Wetters“, stellte Lange fest. „Und einige haben sich sogar bereit erklärt, die Vorstandsarbeit zu unterstützen und auf jeden Fall beim nächsten Mal wieder mitzureisen.“ dil