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Von Rinteln bis nach Nordengland

Eng verbunden durch Freundschaft: Horst Ahlswede (links) mit seinem persönlichen Freund Paul Gardner (von rechts), dem damaligen Schulleiter der Heron Hill Primary School, sowie Eberhard Hänsel und Ulrich Victoria in Kendal.

Eng verbunden durch Freundschaft: Horst Ahlswede (links) mit seinem persönlichen Freund Paul Gardner (von rechts), dem damaligen Schulleiter der Heron Hill Primary School, sowie Eberhard Hänsel und Ulrich Victoria in Kendal.

RINTELN. Völkerverständigung
kann nicht nur über interkultu-
rellen Austausch geschehen
oder über gegenseitige Besuche
von politischen Delegationen,
Schulen und Vereinen, nein,
manchmal liegt die herzliche
Verständigung zwischen zwei
Städten, die Hunderte von Kilo-
metern entfernt voneinander
liegen, auch in den Beinmus-
keln von drei Fahrrad-Fans.
Es war im Jahr 2015, als der
Rintelner Horst Ahlswede sich
zusammen mit seinen Freunden
Eberhard Hänsel und Ulrich
Victoria auf die mehr als 600 Ki-
lometer lange Tour nach Rin-
telns Partnerstadt Kendal mach-
te. Kendal ist dabei mit seiner
Lage im Nordwesten Großbri-
tanniens sicher nicht für alle ein
natürliches Ziel für eine Fahr-
radtour.
Doch Ahlswede hatte die
Tour lange geplant, denn schon
zu seiner Zeit als Schulleiter der
Grundschule Nord hatte er
Kontakte zur Kendaler Heron
Hill Primary School, der dorti-
gen Grundschule, aufgebaut.
Seitdem die ersten vorsichtigen
Verbindungen im Jahr 2003 ge-
knüpft wurden, „hat sich dar-
aus eine richtig gute Schulpart-
nerschaft entwickelt“, erzählt
Ahlswede im Gespräch mit die-
ser Zeitung. Die Partnerschaft
sei mit großem Enthusiasmus
vorangetrieben worden, es sei
„echte Freundschaft zwischen
den Familien auf beiden Seiten
entstanden“.
Als er im Jahr 2015 in den
Ruhestand ging, war für ihn
klar, dass er Kendal und die
dort wohnenden befreundeten
Familien gern als Privatmann
besuchen wollte – und sich da-
bei Zeit lassen wollte, denn er
plante, mit dem Rad zu kom-
men. Eberhard Hänsel und Ul-
rich Victoria ließen sich eben-
falls gern überreden.
Smartphones, WLAN und
Apps gab es damals noch nicht,
„das Ganze war etwas schwie-
riger zu planen“, erzählt er im
Gespräch und hält lachend ei-
nen ganzen Pack von Straßen-
karten hoch, die er damals für
die Tour brauchte.
Immerhin: Google Maps gab
es schon, mit dem man online
die Route schon einmal grob
vorplanen konnte. Übernachtet
wurde in allen Ländern in Ju-
gendherbergen.
Los ging es an einem eher
trüben und nebligen Montag-
morgen gegen 7 Uhr, Start war
auf dem Rintelner Marktplatz.
Dort wurde die kleine Gruppe
standesgemäß verabschiedet,
und zwar von Elizabeth Cooke
aus Kendal, die zum Start eine
Fahne mit dem Konterfei von
Königin Elizabeth II. schwenk-
te.
Auf einer noch recht ange-
nehmen, da eher flachen Stre-
cke ging es über 100 Kilometer
nach Lotte bei Osnabrück. Der
nächste Tag brachte die drei-
köpfige Reisegruppe, die ihr
sämtliches Gepäck für zwei
Wochen in Satteltaschen dabei
hatte, schon über Rheine und
Bad Bentheim in die Niederlan-
de. Nach zwei weiteren 100-Ki-
lometer-Touren landeten die
drei schließlich am „Sluizen-
complex“ IJmuiden bei Amster-
dam, dem Anleger für die Fähre
in Richtung nordenglisches
Newcastle.
Doch die erfahrenen Radfah-
rer waren zu schnell: Einen Tag
früher als geplant standen sie
am Fähranleger. Was jetzt?
Doch, Überraschung: Die Fähre
konnte problemlos umgebucht
werden. Sie fuhr um 17.30 Uhr
ab und kam am nächsten Tag,
Freitag, um 9 Uhr auf briti-
schem Boden an. Kein Tag oh-
ne Fahrrad-Kilometer: Es ging
dann noch ins knapp 60 Kilo-
meter entfernte, beschauliche
Hexham.
Es folgten zwei weitere Tage,
bis die kleine Gruppe schließ-
lich im südlicher gelegenen
Kendal ankam. „Der Teil der
Tour war sehr anspruchsvoll“,
erinnert sich Horst Ahlswede
noch heute zurück. Denn zwar
mag man glauben, dass Groß-
britannien ein eher flaches
Land sei, doch Pustekuchen:
Kendal bildet den südlichen
Zugang zum Lake District, der
zwar sehr malerisch ist, aber
durch seine vielen Hügel auch
eine anspruchsvolle Topografie
aufweist.
Doch genau das habe einen
Teil des Reizes der gesamten
Tour ausgemacht, erzählt der
Rintelner. Es ging lange Zeit am
Hadrianswall entlang, eine bis
heute sichtbare römische
Grenzsicherungsanlage zwi-
schen England und Schottland,
über 2000 Jahre alt. Sowie na-
türlich durch die malerische
Landschaft des Lake District, ei-
ner von 15 Nationalparks des
Landes und der erste, der den
Status eines UNESCO-Welter-
bes erhielt – „eine wunderschö-
ne Tour“, so Ahlswede.
Doch eine Tour ganz ohne in-
ternetfähiges Handy hielt auch
ihre Herausforderungen bereit:
Unterkünfte im Voraus buchen
ging nicht, und nach Schildern
fahren war oft eine Katastrophe,
„dagegen ist der Weserradweg
noch gut ausgeschildert“, er-
zählt Ahlswede schmunzelnd.
Die Tour war damals noch
nicht beliebt, und wenn die drei
Deutschen auf Einheimische
trafen, wurden sie sofort
freundlich und neugierig be-
fragt. „Da gab es echtes Interes-
se“, erinnert sich der Rintelner,
„und viele nette Begegnun-
gen.“
Dann, endlich, die Ankunft
am siebten Tag der Tour. „Wir
sind in Kendal äußerst herzlich
empfangen worden“, sagt Ahls-
wede. Natürlich wurden alle
Freunde und Bekannte besucht,
die man während der jahrelan-
gen Schulpartnerschaften ge-
funden hatte, vor allem Ahlswe-
des Freunde Paul Gardner, der
ehemalige Rektor der Heron
Hill Grundschule, sowie Philip
Ball, der frühere Kendaler Bür-
germeister.
Die eigentlich privat geplante
Reise erhielt in Kendal einen
recht offiziellen Charakter, erin-
nert sich Ahlswede außerdem
wohlwollend zurück: „Der dor-
tige Partnerschaftsverein lud
uns zu einem Abschiedsessen
ein.“
Nach drei Tagen Aufenthalt
in Rintelns Partnerstadt ging es
zurück an die Weser, doch dies-
mal wesentlich bequemer als
auf der Hinreise: Die drei Deut-
schen nahmen Zug und Fähre
über Newcastle, IJmuiden,
Amsterdam Hauptbahnhof und
Minden.
von Marieluise Zacharias